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Rechtenbach im Spessart

Portrait - Entstehung

Rechtenbach im Spessart– Entstehung und Weiterentwicklung

Erstmals erwähnt wird Rechtenbach am 18. August 1522 in einer Urkunde des Grafen Philipp von Rieneck und ist somit die jüngste Gemeinde im Lohrer Raum.

Als Teil des Erzstifts Mainz kam Rechtenbach 1803 an das neu gebildete Fürstentum Aschaffenburg und 1814 kam die Gemeinde zu Bayern.

1686 bestimmte der Kurfürst Franz von Ingelheim, daß an dieser Stelle im weiten Waldland des Spessarts fremde Glasmacher angesiedelt werden sollten, die ihm die seinerzeit sehr begehrte weiße Glasware zu liefern hatten. Als qualifizierten Fachmann konnte man den Glasmeister Johann Wenzel gewinnen, der reiche Erfahrungen aus norddeutschen Glashütten mitbrachte und "schön chrystallen, auch ander Glas" herzustellen verstand.

Der frühere Leiter des Spessartmuseums in Lohr, Werner Loibl, glaubt, daß Wenzel die Herstellung des "Chrystallglases" von einem italienischen Karthäusermönch erlernt hat. Dadurch war der Glasmacher in der Lage, der Mode zur Zeit entsprechend wasserhelle Trinkgläser und Deckelpokale zu fabrizieren, die durch Schliff und Schnitt kunstvoll verziert wurden. Er lieferte dem Mainzer Hofstaat die gewünschte Qualitätsware in ausreichender Menge, denn er hatte eine kurfürstliche Startsumme von 1.350 Gulden erhalten.

Als Wenzel 1696 starb, ging es mit dem staatlich subventionierten Unternehmen rasch zu Ende. Die Hüttenfeuer erloschen. Aber die Arbeit ruhte nur für kurze Zeit, denn im selben Jahr sollte in Rechtenbach eine noch fortschrittlichere Fabrikation von Glas ganz anderer Art aufgenommen werden, die den kleinen Spessartort an die Spitze der europäischen Glastechnologie brachte und Rechtenbach und Lohr in Fachkreisen – bis zum heutigen Tag – berühmt machen sollte.

Um 1688 hatten in Frankreich Lucas de Nahon und Abraham Tehvoust die Technik des Spiegelgusses erfunden. In Rechtenbach erschien eine französische Glasspezialistengruppe unter Leitung von Pierre Bernard de St. Pierre, der in der Lage war, das begehrte Glas nach dem Verfahren der französichen Manufakturen herzustellen. Es war vor allem die technische Neuerung des Spiegelgusses , die den Mainzer Fürstbischof bewog, in Rechtenbach einen Spezialbetrieb für die neuen Bedürfnisse der Innenarchitektur zu errichten. Außer den Vertragsunterzeichnern Piero Bernard, Wilhelm Brument und Ludwig Truffè kamen noch mindestens zehn bis fünfzehn Personen, teilweise mit Familien. Daher noch die französischen Nachnamen Herteux, (Matreux,) Madre, Dubois (Durchholz).

Die Rechtenbacher fertigten fortan Spiegel. Die Rohlinge kamen per Ochsenkarren in den Veredelungsbetrieb nach Lohr, wo sie geschliffen, poliert und belegt wurden. Ein adeliger Besucher vom Mai 1699, Graf von Hatzveldt, berichtet, daß nun in Rechtenbach "so schön Glas, pur, dick und sauber als immer das venetianische sein möge, ja nicht ein Bläsgen oder Sandtkörnlein darin zu finden" hergestellt wurde. Spiegel mit den Maßen 219 auf 131 cm konnten gegossen werden.

Für den Transport von Glas wurde der Fürstenweg gebaut. Der Würzburger Fürstbischhof Johann Philipp von Greiffenclau, wollte den Kurmainzer Renommierberieb besichtigen, er wollte den Rechtenbacher Fabrikationszweig sehen. Dafür wurde die neue Straße beschleunigt gebaut, daher auch der Name "Fürstenweg". Auch Friedrich Carl Schönborn, der ab 1729 Würzburger Fürstbischof war, besuchte die Glasmanufaktur.

St. Pierres tritt aus der Manufaktur aus. Brument wird Direktor in Rechtenbach. Nach 5 Jahren wird die Spiegelhütte in einen staatlichen Betrieb mit Namen "Kurmainzische Spiegelmanufaktur Lohr" umgewandelt und ging schrittweise auf den geldgebenden Staat über. Fast 1 Jahrhundert später (1791) war die Geschichte Rechtenbachs als Glashüttenort vorbei.

Wer die herrlichen Spiegel der Rechtenbacher Hütte heute bestaunen will, hat Gelegenheit im zauberhaften Spiegelkabinett von Schloss Weißenstein bei Pommersfelden, aber auch im Spiegelsaal des Lohrer Spessartmuseums.

1791 begann für viele Jahre eine Zeit des Hungers und Elends im Ort. Die noch heute weltberühmen Spiegel aus Rechtenbach hinterließen im Ort ihrer Herkunft nur traurige Schatten. Kein anderer Ort erreichte solche Höhen und stürzte in solche Tiefen.

Chronischen Hunger gabs, dadurch auch vermehrt Krankheiten, besonders der Atmungsorgane aufgrund des rauhen Klimas. 1855 war eine Keuchhustenepidemie, 1871 grassierte Scharlach, Diphterie, Hautwassersucht, Lungenentzündung, fiebrige Infektionen durch unhygienische Verhältnisse und durch feuchte Wohnungen. Arztbesuche waren selten, weil kein Geld vorhanden war, man behalf sich mit altbewährten Hausmitteln.
1837 wurden in Rechtenbach drei Kinder nach dem Tod der Mutter von der Verwaltung mittels öffentlicher Versteigerung beim Wenigstnehmenden untergebracht.

Durch die große Not wurde auch gewildert. Beeren, Pilze, Kräuter, Wildgemüse, Eicheln und Bucheckern wurden im Wald gesammelt. Holz heizte die Wohnungen, Laub wurde für das Vieh als Streu benötigt.

Im Ort waren ca. 80% Taglöhner, Holzarbeiter und Daubholzmacher für Fässer. Als Schwellenhauer für die Eisenbahn mußten die Männer auswärts arbeiten, zum Teil in Slowenien (Ungarn). Das zwang die Frauen zu hartem Broterwerb durch die Landwirtschaft und Taglöhnerei. Die Kleidung bestand aus Beidergemeng (Mischgewebe aus Naturwolle und Leinen). Die Hauptnahrung war Kartoffeln, Milch, Sauerkraut und Rüben. Fleisch gab es selten. Zum Trinken gab’s Wasser, Kaffee und Kaffee-Ersatz, Trauben- und Apfelwein und Bier (Schnaps). Brot mußte in schlechten Jahren auf Kredit gekauft werden.

1834 wurde die heutige B26 errichtet. Vor 1831 gab es weder Wasserleitung noch Laufbrunnen. Leute holten das Wasser an den Quellen oberhalb des Ortes. Die ersten Brunnenrohre wurden auf Vorschlag des Bürgermeisters Hartmann verlegt. Aus der Brunnenstube lief das Quellwasser durch hölzerne Rohre zu einem halben Dutzend Laufbrunnen. Die Bewohner holten mit Butten und Eimern das Wasser. Am 30.04.1934 wurde die Übergabeurkunde für eine moderne Wasserversorgung unterschrieben.

Auszüge aus dem Buch "Die kurmainzische Spiegelmanufaktur" von Werner Loibl
Mit freundlicher Unterstützung von Christa Rosenberger



 
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